5 Wochen ist es nun schon her, dass die strengen Coronavirus-Lebenseinschränkungen in Österreich Einzug gehalten haben. Maßnahmen, die uns vor einigen Wochen noch Angst und Ungewissheit beschwert hatten, und vieles, was vorher unvorstellbar war, ist nun unsere neue Normalität. Ein Wechselbad der Gefühle hat die meisten Menschen in den letzten Wochen in Schach gehalten, viele neue Situationen musste jeder einzelne von uns meistern und laufend improvisieren. Doch der Mensch kann nicht dauerhaft im Krisenmodus agieren, und so hat sich dann in den letzten Tagen wahrscheinlich schon bei vielen ein neuer Alltag eingelebt.
Wer anfangs noch panisch alle 15 Minuten jeden Online-Live-Corona-News-Ticker verfolgte, bis einem am Abend der Kopf vor lauter Horror-News nur mehr so schwirrte, begnügt sich nun mit der täglichen Nachrichtenzusammenfassung.
Wer zu Beginn jedes kleine Unwohlsein und Gelenksschmerzchen als sichere Corona-Virus-Infektion an sich selbst identifizierte, hat wieder ein normales gesundheitliches Selbstgespür entwickelt.
Wer vor einiger Zeit noch wie von Sinnen im Supermarkt alles Mögliche und Unmögliche gehamstert hat, erkennt nun, dass auch noch nach 5 Wochen Lockdown Nudeln, WC-Papier, Fertigsugos und sonstige Feinheiten in den Lebensmittelregalen lagern und greift nur mehr gezielt zu den Produkten, die er wirklich braucht, anstelle alles panisch ins Wagerl zu befördern, was man nur irgendwie die nächsten 5 Jahre daheim brauchen könnte. Nach 5 Wochen Nudelkur braucht auch der italophilste Mensch eine kreative Pause von den Teigwaren.
Wer noch vor kurzem beim Anblick eines haushaltsfremden Menschen bereits von der Ferne in Panikzustand aufgrund der Ansteckungsgefahr verfallen ist, lässt sich jetzt auch mal wieder gerne schon etwas entspannter auf ein reales Outdoor-Tratscherl unter Wahrung des Sicherheitsabstandes ein.
Wer unlängst noch gedacht hatte, dass er sich sicher wie in Asien kein Stofffetzerl als Gesichtsmaske an seine Ohren hängen wird, nimmt jetzt dankend selbstgenähte Baumwoll-Stoffmasken aus dem Freundeskreis an, hinter denen man gefühlt etwas weniger schwitzt als hinter manchem handelsüblichen Plastik-Gesichts-Isolatoren.
Wer ungefiltert alle ihm im Netz untergekommenen Home-Workout-Videos, Planking-Challenges und Handstand-Tutorials in sein Tagesprogramm eingebaut hat, hat spätestens nach dem 3. Höllen-Muskelkater oder dem Beinahe-Bandscheibenvorfall vom Gewichteschupfen erkannt, dass die Corona-Zeit nicht unbedingt dazu genutzt werden muss, um seinen Lebensstil gleich um 360 Grad zu drehen.
Wer das 10. supergesunde Bananenbrot gebacken hat und wieder nur die Hälfte davon aufgegessen hat, weil die anderen Haushaltsmitglieder alleine schon beim Anblick heftige Übelkeit verspüren, der besinnt sich nun drauf, dass das Brot beim Bäcker ums Eck auch wunderbar schmecken kann und die Profibäckerkarriere auch gerne mal ein paar Tage auf Eis legt.
Wer schon den zwanzigsten Buchwälzer in einem Zug verschlungen hat und vom vielen Sitzen dabei sich gar nicht mehr bewegen kann wird feststellen, dass ein ganzes Menschenleben sowieso nicht ausreicht, um alle Bücher lesen zu können, die er schon immer mal schmökern wollte.
Wenn auch die finsterste Ecke im Haushalt entrümpelt, gelüftet, geputzt und neu sortiert wurde stellt man fest, dass dort, wo man vor einigen Wochen begonnen hat, sich schon wieder ein paar Staubkörner und Spinnweben angesammelt haben und realisiert etwas konsterniert, dass das Projekt perfektes Eigenheim- und Garten NIE fertig werden wird.
Wer hektisch im Home Office alle zusätzlichen WLAN-Geräte im Haushalt für kristallklaren Empfang panisch deaktiviere, wenn sich der Chef per Videoschaltung in die eigenen 4 Wände ankündigte, um zu zeigen, dass man die Lage total im Griff hat, der lässt jetzt auch schon mal ganz entspannt den Firmencomputer und das Handy ein paar Minuten in den 4 Wänden ruhen, wenn die Sonne zum Kaffeepäuschen auf die Terrasse lockt. Auch ein Home-Office Arbeitstag braucht seinen Anfang, sein Ende und seine Pausen.
So erkennen wir in unserer neuen Normalität, dass sich vieles geändert hat, manches jedoch trotzdem gleichbleiben wird – einige Dinge lassen sich eben nie fertigstellen, vollenden, in einem wünschenswerten Zustand auf Dauer bewahren. Das Leben ist eben mehr Veränderung als Stillstand, mehr als eine Checkliste, die es abzuarbeiten gibt.
Vielleicht bringen uns diese Wochen, die wohl in jeder einzelnen Biografie ganz unauslöschlich und ganze speziell gespeichert werden, doch ein paar neue Erkenntnisse, die wir ein eine Zeit „Nach-dem-Corona-Virus“ mitnehmen können. Wenn viele äußere Einflussfaktoren und Ablenkungen wegfallen, ist es leichter zu erkennen, welche wahren Werte für unser Herz so wichtig sind. Wahrscheinlich sind es die einfachen Dinge, die nicht mit Geld zu kaufen sind.
- Gesundheit,
- Freude,
- Hilfsbereitschaft,
- Zusammenhalt,
- mit positiven Gedanken in den Tag zu starten,
- Zeit mit den nahestehenden Personen und
- Zeit für die Dinge nehmen, die man wirklich gerne tut.
Doch auch zu viele Chancen verderben den Brei. Die Auswahl an Möglichkeiten, in dieser Zeit Sinnvolles zu tun, ist so groß, dass man manchmal davor wie die Schlage vorm Kaninchen erstarrt, und sich erst wieder essend am gemütlichen Sofa wiederfindet. Es ist also nicht so ganz einfach, diejenigen Dinge rauszupicken, was dem Einzelnen nachhaltig Freude schafft und persönlichen Sinn stiftet.
Unser aller Lebensmittelpunkt hat sich nun auf das Zuhause verlagert, das kann auch schon mal ganz schön anstrengend werden. Die täglich mindestens dreimal wiederkehrende Frage, was es heute zum Essen gibt, bringt den einen oder anderen möglicherweise nach mittlerweile 5 Wochen auch schon mal an die Erschöpfung der Kreativität und so sehnt man schon den Tag herbei, an dem unsere geliebten Restaurants und Kaffeehäuser wieder feierlich öffnen dürfen. Da man die Supermärkte ja nicht täglich aufsuchen möchte, überlegt man sich kreative Speisepläne für eine Woche lang, nur um dann zwei Tage drauf daheim ernüchternd festzustellen, dass es leider die Hauptzutat nicht ins Einkaufswagerl geschafft hat oder man heute eigentlich gar keinen Gusto auf die Speise seiner Wahl hat.
Betrachtet man jedoch alle bis jetzt aufgezählten Tatsachen, mit denen sich im Moment die Österreichische Mittelschicht herumschlagen muss, so ist es dann doch für den einen oder anderen eher eine persönliche „Luxus-Krise“ als eine wirklich essentielle, tiefgehend herausfordernde. Im warmen großzügigen Eigenheim mit vollem Kühlschrank, die Arbeit bequem von daheim aus erledigend, bei Kochunlust den Lieferservice zitierend und bei spontan aufkeimenden Wünschen sich in die Online-Shopping-Schlacht begebend kann man sagen, dass mit vielen von uns der Corona-Virus doch ganz gnädig verfahren ist.
Was jedoch nicht heißen soll, dass die Mehrzahl der Menschen doch hoffentlich vieles lehrreiches aus der Corona-Zeit in die Zukunft mitnehmen werden. Ein Umdenken des persönlichen Lebensstils durch Erkennen, das vieles nicht selbstverständlich ist, könnte auch ein großer Entwicklungsschub für die Menschheit sein. Vielleicht hat man auch selbst erkannt, dass die meisten Geschäfte nun wieder aufsperren, aber man eigentlich gar keinen Grund und Lust hat, diese aufzusuchen, da man in diesen Wochen erkannte, dass man ja eigentlich „eh schon alles hat“.
Vielleicht möchten wir in Zukunft daher statt dem unter fragwürdigen Umständen produzierten Billigprodukt aus Fernost nicht lieber doch der regional erzeugten, teureren, aber qualitativ hochwertigere Ware, die noch dazu heimische Arbeitsplätze sichert, den Vorzug geben?
Vielleicht besinnen wir uns in Zukunft auf ein einzelnes traumhaftes Reiseziel pro Jahr, dem man dann viel mehr Zeit vor Ort widmet, um tiefer in die lokale Kultur einzutauchen und die Reise mit viel mehr Sinnen zu genießen, anstatt jedes 2. Wochenende mal kurz in eine andere Metropole zu jetten? Alleine die längere Zeit der Planung und Ideensammlung könnte die Vorfreude auf die Reise noch viel größer als bei schnellen Spontantrips werden lassen. Es ist auch schön, Träume zu haben, die nicht sofort in die Tat umgesetzt werden können.
Vielleicht möchten wir in Zukunft unsere sozialen Beziehungen mehr persönlich und weniger digital leben? Statt der zwanzigsten Whats-App-Nachricht vielleicht doch kurz persönlich bei lieben Menschen vorbeischauen. Unser persönliches Umfeld auf Dauer digital leben kann auch anstrengend und ermüdend sein. So lieb einem manche Menschen auch sind, irgendwann möchte man nicht mehr zum tausendsten Mal am Tag auf das Handydisplay schauen.
Vielleicht möchten wir den aktuell großen Respekt und die Hilfsbereitschaft im Umgang mit anderen Menschen weiter in unserem zukünftigen Alltag leben? Das Supermarktpersonal freut sich auch noch in einigen Monaten über ein freundliches Lächeln oder ein geduldiges, distanziertes Warten, wen mal die Warteschlange etwas länger geworden ist.
Vielleicht möchten wir in Zukunft aufhören, so viel als möglich sinnvolles in unsere Tage zu packen, sondern es auch mal gut sein lassen, wenn wir müde, erschöpft oder ausgelaugt vom Alltag sind. Dann gibt’s eben mal heute nur die schnelle Fertignudelpfanne vorm TV anstelle des anstrengenden Laufplanes, für dessen Ausarbeitung wir ja teuer bezahlt haben. Die viel zitierte Entschleunigung könnte das große Thema sein, dass jeder für sich persönlich aus dieser Zeit mitnehmen kann.
Auch viele kleine Handlungen erzeugen auf lange Sicht ein großes Ganzes. Abgesehen von vielen tragischen Auswirkungen des unsichtbaren, aber so beunruhigenden Corona-Virus soll diese ganze Krisenzeit auch nicht umsonst für die Menschheit, die Umwelt und unseren Planeten gewesen sein.
Interessante Links
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Meine liebe Tochter , das hast du eindrucksvoll geschrieben und zum nachdenken angeregt! mach weiter so dann wird noch eine Schriftstellerin aus dir . Deine Ausdrucksweise ist einfach genial ! Deine Mama
Vielen lieben Dank für deinen herzerwärmenden Kommentar liebe Mama! 🙂 Da muss ich noch viel in die Tasten hauen, aber ich hab ja noch ein paar Jährchen Zeit, bis ich 104 Jahre alt bin 😉
Ich bin froh, dass ich heute Zeit hatte deine Beiträge zu lesen! Ich war gleich gefesselt und habe oft geschmunzelt – über mich und deine Worte! 🙂
Ich freue mich schon auf deinen nächsten Eintrag!
Liebe Julia! Vielen lieben Dank für dein nettes Feedback, es freut mich sehr, dass du den Beitrag gerne gelesen hast und auch sogar schmunzeln musstest! 😊 Auch in schwierigen Zeiten darf der Humor nicht zu kurz kommen 😊
Sich Zeit zu nehmen und ausgewählte Zitate, Essays, Journale etc. zu lesen, ist schon eine Art Entspannung, welche zur Leidenschaft werden kann. Dazu gehört dür mich schon dein Blog bzw. deine Beträge dazu. DANKE
Der Text ist großartig aufgebaut und findet am Ende für mich seinen Höhepunkt. Nämlich mit der Auflistung, welche ein persönliches Umdenken bei jedem Einzelnen nach dieser Pandemie bewirken MUSS. Interessant wäre für mich noch den Blickwinkel der sozialen Unterschicht erfahren zu dürfen. Denn dieser könnte wiederum die Politik und UNS (die Mittelschicht) animieren und dazu bewegen Hilfe für diese Randgesellschaft Österreichs zu leisten. Man denke dabei an Obdachlose, Familien die kein großes Einkommen haben, und Viele mehr.
Ich denke vlt. wäre auch mal ein Interview für deinen Blog von Interesse.
Viel Spass beim Schreiben und du kannst das richtig gut. Auch die Kreativität und der Aufbau mit Fotos etc. ist beeindruckend.
Weiter so
Vielen lieben Dank für das ausführliche und tolle Feedback! 🙂 Schön, wenn das Lesen von SofiasBlog schon irgendwie dazugehört, und das Schreiben macht auch große Freude! Vielen Dank für deine Anregungen, die Ansichten der sozial ärmeren Schichten Österreichs sind sicher andere, und wären sicher auch sehr interessant zu wissen. Das Lob zum Aufbau und Fotogestaltung gebe ich gerne dem Hintergrund-Redakteur weiter 😉
Liebe Sofia. Ich fühl mich so ertappt und erkannt. Ich hab alles durchgemacht. Hatte meine Katerchen an den Muskeln obwohl ich sonst auch trainier und bin mit dem Staubwedel durch die Gegend gedüst – was ich sonst nicht mache. Aber es hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich werde es doch bei behalten in einem gewissen Rhythmus meine 100.000 Schildkröten zum Glänzen zu bringen. Ich mutierte zur Superhausfrau und habe Germgugelhupfe gebacken. Ich wusste gar nicht dass ich dazu in der Lage bin. Corona sei Dank. Und ja. Und nicht nur die Narzissen blühen im Garten sondern auch brach liegende Projekte sind am Blühen und gedeihen.
Aber jetzt ist Schluss mit sinnieren. Artikel les ich mir später fertig. Die Homeoffice Pause ist vorüber. Ciao ciao Babysister
Liebes Gitti-Sistal! Ich musste so lachen, als ich gelesen habe, dass du dich ertappt fühlst 🙂 Vielen lieben Dank für deinen herzerfrischenden Kommentar! Wir sind halt doch alle aus einem Guss 😉
Hi Sofia,
wie du richtig schreibst
„nichts ist umsonst“…….ALLES hat einen SINN
LG. aus der Stmk.
Vielen lieben Dank für den Beitrag aus der schönen Steiermark! 🙂 Ich bin gespannt, welche Lehren wir alle für sich persönlich aus der Corona-Krise gezogen haben. Beitrag folgt! 🙂
Welche Erkenntnisse nehme ich aus der Coronakrise mit? Und das gar nicht anonym. Ich nehme mit dass ich bisher am richtigen Weg war und nun durch die viele Zeit des Überdenkens noch mehr motiviert bin in diesem Sinne weiter zu machen. Regional saisonal und nachhaltig einkaufen und Wirtschaften. So wie Du geschrieben hast. Wir. Die Mittelschicht. Für uns ist es sicher leistbar beim Spargelbauern aus dem Marchfeld einzukaufen und ein zwei Euro mehr für gutes Brot vom Bäcker ums Eck
auszugeben. Dafür sollten wir dankbar sein. Allerdings ess ich eben Spargel und Erdbeeren wenn sie bei uns wachsen und im restlichen Jahr eben nicht.
Beim Vielreisen bin ich voll bei Dir. Der ökologische Fußabdruck von einem Flieger oder noch schlimmer von einer Schwerölschleuder wie einem Luxusdampfer der ca. 100 Tonnen am Tag für die Motoren verschlingt lässt mich erschauern.
Ich hoffe dass hier wirklich ein grobes Umdenken erfolgt. Auch in den Firmen – man sieht das man per Webex genau so gut Verhandlungen führen kann und nicht wegen eines einstündigen Gesprächs um die halbe Welt reisen muss.
Leider sind wir ( ich nicht ausgenommen) schon so verstrickt in unserem Dasein das selbst unsere zartesten selbst auf Zehenspitzen getänzelte Schritte negative Auswirkungen auf Natur und Umwelt haben. Ich sag immer wir können nur im kleinen (eigenen) Bereich wirken und so gut wie möglich versuchen keine „Abdrücke“ zu hinterlassen. Ich wünsche mir das die Menschheit wieder achtsam mit den Ressourcen umgeht. Müll vermeidet ( beginnt schon beim gezielten Einkauf), weg von der Wegwerfgesellschaft und und und. Ich glaub ich verenn mich da jetzt … und das alles auf meinem schicken iphon. Jaja natürlich. Ich schreib auch nicht mehr auf der Kreidetatel. Das meinte ich vorhin mit „verstrickt“. Es ist kaum mehr möglich auszusteigen. Aber man kann ein bisschen auf die Bremse steigen. Corona hat das jetzt mal für uns gemacht und es kam weltweit zu einer Art Stillstand. Oder doch nicht? Fortschritt schreitet weiter und wie Du eingangs erwähnst die Erde dreht sich weiter. Ich wünsche allen einen positiven Ausklang dieses Ausnahmezustandes und sofern ein Umdenken statt fand hoffe ich – ein nachhaltiges.
Liebes Gitti-Sistal! So viele tolle Inspirationen, das wäre ja einen eigenen Blog-Beitrag wert! Vielleicht darf ich dich mal als Gast-Autorin einladen! 🙂 Vielen lieben Dank jedenfalls für deinen Input!!!
meine liebe Sofia! da hast du wieder in windeseile einen Blog hervorgezaubert! wie immer top formuliert ! Aus der Krise haben wir gelernt, wie wichtig Familie und Freunde sind. Deine Mama .
Gerne. Ja ist bei mir auch so. „Es“ schreibt“. Ich kann das nicht beeinflussen. Kommt über mich. 👍🏻